So flutschen Texte für Leser

Alter Mann liest aufmerksam eine Zeitung in einem öffentlichen Verkehrsmittel

Die Aufmerksamkeit der LeserInnen ist heiß umkämpft von unzähligen Medien und Kanälen. Wie man bei Texten die Chancen auf Gelesenwerden erhöht.

„Schreiben’s da was z’amm.“ 

Hab ich erschreckend oft gehört. Als wäre schreiben so etwas wie Wiesenblumen pflücken. Man schlendert durchs Feld, nimmt hier was mit und da was mit, baut daraus ein dürres, zerfranstes Blumensträußchen. Und fertig, das war’s. Text vollendet.

Klar wird das oft genau so gemacht, ob aus Wurstigkeit, Zeitnot, Talentfreiheit oder was weiß ich. Verzweifelt mit Füllwörtern aufgeblasen triefen solche Mir-egal-Werke dann vor schwammigen Formulierungen und schablonenhaften Phrasen. Text ist Text, scheint das Credo. Hauptsache der verfügbare Platz ist voll mit Buchstaben.

Dazu ein Nein.

Denn wenn sich schon ein Schreibprofi die Mühe machen soll, etwas schriftlich in Worte zu fassen, dann bitte mit Struktur, mit Hirn, mit Charme. Mit Präzision und dem Ehrgeiz, einen Text abzuliefern, der mögliche Leser grundsätzlich dazu einlädt (statt sie davon abzuhalten), sich mit dem gebotenen Inhalt näher zu befassen.

Das Resultat solcher Mühen sind dann leserorientierte Texte, zumindest in meiner Welt. Und die entstehen nicht durch Zufall, sondern nach sehr klaren Leitlinien und Fragestellungen. Die da wären:

1. Wer soll das lesen?

LeserInnen sind eine sehr diverse Schar, mit ziemlich unterschiedlichen Zugängen und Bedürfnissen. Vorm Texten schon wissen, wer’s lesen soll, hilft enorm. Texte müssen zielgruppen-geshaped werden, sonst werden sie überblättert, weggeklickt, ausgeblendet.Also bitte vorm Start mitdenken:

  • Das Medium bestimmt den Text-Shape
    Social-Media-User nutzen Texte in anderen Lebenslagen und mit anderem Zeitbudget als Menschen, die googlen und auf einen Blogbeitrag stoßen. Journalisten brauchen in Presseinformationen Texte mit hoher Faktenbasiertheit, während es für ihre Leser dann auch ein wenig blumiger, menschlicher klingen darf.
    Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Jeder gute Text beginnt also mit dem Reflektieren darüber, wie er klingen muss, um die jeweilige Leserin zu „kriegen“.

  • Das Alter bestimmt den Text-Shape
    Unterschiedliche Generationen haben unterschiedliche Ansprüche an geschriebenen Text. Ältere Menschen stolpern oft über Anglizismen und „unfertige“ Sätze ohne Verb; Kinder steigen aus bei Fachsprech und Politbegriffen; Jugendliche lehnen moralisierenden Tonfall meistens ab und reagieren mitunter allergisch auf anbiedernde Jugendsprache. Menschen mittleren Alters haben in der Regel wenig Zeit zum Lesen. Mit so knappen Texten wir möglich erhöht man die Wahrscheinlichkeit, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen.  

  • Weitere relevante Charakteristika der Zielgruppe, sofern sie so genau bestimmt werden kann, wären: Geschlecht, Herkunft, Bildungsgrad, Beruf, politische Überzeugung, Lebensphase, sexuelle Orientierung etc. Das im Detail auszuführen ist einmal einen extra Beitrag hier wert.

2. Wie gut ist der Inhalt?

„Gut“ hier im Sinne von: aufrichtig, seriös.
Sicher ist kein Text-Profi vor Missverständnissen und Fehlern gefeit. Aber: Fake-News gibt’s schon genug auf der Welt und sie alle haben gemeinsam, dass ihre Inhalte (absichtlich oder unabsichtlich) wild zusammengeschludert sind.

Gute Inhalte, die Fake-News in ihre Schranken weisen, sind eine Frage der Ethik und immer eine Bringschuld des Schreibenden, denn: Woher soll der Leser wissen, wie viel Mühe sich die Texterin gemacht hat oder nicht?

Gute Inhalte definieren sich mE so:

  • Ist das Thema ausreichend recherchiert – oder gibt’s Stellen, wo ich unsicher bin oder vielleicht zu bequem war, nochmal nachzufragen?
  • Habe ich alle derzeit wichtigen Fakten in den Text gepackt? Oder klaffen noch Lücken im Inhalt?
  • Stimmt das, was ich geschrieben habe, vor allem: Wie ich es beschrieben habe, (Stichwort: persönlicher Wahrnehmungsfilter)?

3. Hat der Text die passende Struktur?

Ein gut geschriebener Text ist wie ein roter Bindfaden, der durchs Inhalts-Labyrinth führt. Er weist den sicheren Weg zu dem Wissensgewinn, der am Ende des Lesens steht. Dieser rote Faden entsteht durch eine kluge Strukturierung des Texts. Ohne sie ist alles doof, weil leserfeindliche Textwüsten entstehen, die niemand freiwillig durchschreiten wird.

Ein Text hat Struktur, wenn zumindest diese Punkte erfüllt sind:

  • Klare Gliederung, bei der die Informationen aufeinander aufbauen.
  • Text-Gruppierung in Absätzen, Aufzählungen, ausgelagerten Infoboxen, etc.
  • Zwischentitel zum zwischendurch anhalten und verschnaufen. Der Leser ist ja auch nur ein Mensch.
  • Ein Mix aus Text- und Bildinformationen, so kommt Abwechslung ins Lese-Geschehen.
  • Hürden vermeiden, die den Lesefluss stören, wie lange Einschübe zwischen Gedankenstrichen, Klammersetzungen, unbekannte Kürzel in Sperrschrift etc.
  • Fettungen. Vor allem im Web bewährt. Das erleichtert das Scannen von Texten.

4. Können die LeserInnen das sprachlich mit?

Ja eh, damit mache ich jetzt ein Fass auf. Und ich deponiere wieder einmal mein Lieblingszitat dazu:

„Einer muss sich quälen. Entweder der der’s schreibt. Oder der, der’s liest.“

In Satzbau und Wortwahl leserorientiert zu bleiben, ist eine Herausforderung, der man sich in jedem Text neu stellen muss. Es gibt aber ein paar Leitplanken, die sind Pflicht. Zum Beispiel:

  • Klare, anschauliche, verständliche Worte.
    Raus mit Fremdworten, Fach-Chinesisch, Akademikersprech usw.
  • Sätze gut mischen.
    Nicht jeder Satz kann superkurz sein. Aber wenn’s mal länger wird, danach wieder durch kurze, übersichtliche Passagen durchbrechen.
  • Aktive Schreibe.
    Langweilen Sie die Leserin nicht. Der Zug zum Tor, sprich: zur Aussage, muss spürbar bleiben.
  • Starke Verben.
    Statt etwa das hundertste Mal „gehen“ zu schreiben, lieber mal das Synonymwörterbuch nach Alternativen befragen.
  • Tonfall checken.
    Obergscheit, dozierend, spöttelnd, schleimend, werbend, alles Abtörner. LeserInnen sind auf Augenhöhe. So sollte man sie auch ansprechen.

Fazit

Ein Text ist gut, wenn er gelesen wird. Der Weg dorthin ist viel länger als manche, die selbst nicht schreiben, das einschätzen.

Erst wenn der Leser sich richtig adressiert und seriös informiert fühlt, erst wenn er den Text leicht überblicken und ohne Hürden verstehen kann, wird er bereit sein, seine wertvolle Aufmerksamkeit voll darin zu investieren.

Der, der’s schreibt, muss sich quälen.
Für mich ist das alternativlos.

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