Oh, hoppala! Im jüngsten Alpe Adria Magazin hab ich mich tatsächlich dazu verstiegen, in gleich zwei Reisereportagen die Ich-Form einzubauen. Eine zunächst zweifelhafte Premiere. Wie konnte das passieren?
Als gelernte Zeitungsjournalistin sollte ich mich eigentlich das ungeschriebene Gesetz halten, beim Schreiben das „Ich“ weitgehend zu umschiffen. „Ich“, so wurde es gelehrt, schreiben nur Stümper. Weil: Das könnte befangen wirken, einseitig, womöglich korrumpiert. Gonzo-Journalismus nennt das die Branche. Man muss als Zeitungsfritze immer im Namen aller sprechen, immer von einem imaginierten, neutralen Standpunkt aus die Welt erklären, den Zeitungstext möglichst gesichtslos sein lassen. Außerdem: Stilistische Gratwanderung! Niemand will in seinen Texten klingen wie „mein schönster Ferientag“. Ergo ist die Ich-Form ein No-Go. Fertig.
Ich-los & meinereiner
Das hat in der Vergangenheit immer wieder alberne Sprachblüten hervorgebracht. Manche KollegInnen griffen für die Schilderung von Ich-Erlebnissen oder –Meinungen auf das seltsam verzopft klingende „Unsereiner“ oder „Meinereiner“ zurück. Sorry, aber wer spricht so von sich selbst? Die meisten stützten sich sprachlich auf das unverbindliche „man“, so als stünden sie als ErzählerIn immer zwei Schritte neben sich. Oder sie behalfen sich mit umständlichen und schwer lesbaren Passiv-Formen. Wie auch immer: Die Scheinwerfer waren gnadenlos nach außen gerichtet, jeder Zusammenhang mit dem/der BeobachterIn wurde von vornherein geleugnet. Wer beschreibt, musste ein Ich-loses Wesen sein, objektiv bis zum Erbrechen.
„Ich“ als maßgeblicher Filter
Die Wahrheit ist wohl eine andere. Jeder Eindruck und jedes Gespräch muss durch den/die Beschreibende/n selbst erst einmal hindurch. Also: Durch mich. Mein sehr persönlicher Filter auf die Welt prägt den Text, den ich schreibe, von der ersten bis zur letzten Silbe. Was ich schreibe, was ich sehe, was mir auffällt (und was nicht), sagt viel über mich und verhältnismäßig wenig über objektive Fakten aus. Vielleicht bin ich ein sehr gewöhnlicher, sogar langweiliger Mensch. Aber meine unverstellte Sicht auf die Welt gibt’s trotzdem nur einmal. Warum eigentlich nicht dazu stehen?
Die Social Media Ära hat diese altvaterische Regel des Ich-Verbots gottseidank hinter sich gelassen. Hier schreibt jeder völlig ungeniert „Ich“, egal, ob er nur Quatsch machen oder wirklich etwas Solides vermitteln und damit sein eigenes Expertentum untermauern will. Das ist positiv, denn: Was Menschen immer noch am meisten interessiert, sind andere Menschen. Ihre Erfahrungen, ihre Probleme, ihre Sichtweisen, ihr Wissen, ihre Erlebnisse. Btw: SelbstdarstellerInnen entlarven sich selbst so oder so schnell als solche. Das kriegen kritische Leser und Rezipientinnen zwangläufig rasch mit.
Ich = Mensch
Wer viel liest und neue Medien konsumiert, ist mittlerweile auf Erzählungen in der Ich-Form eh voll konditioniert. Auch meine eigenen Lesegewohnheiten haben sich durch den Medien- und damit einhergehenden Wandel der Erzählweise von Geschichten verändert. Wenn ich heute eine Reportage lese, in der sich die AutorIn umständlich um Ich-Formulierungen herumwindet wie der Teufel ums Weihwasser, dann bin ich irgendwas zwischen irritiert und gelangweilt. Es klingt endlos gestrig. Ich frage mich: Warum schreibt er/sie nicht einfach „Ich“? Warum mimt er/sie die egolose Schreib-Maschine, die alles total meinungsneutral und ausnahmslos faktisch zur Kenntnis nimmt?
Andererseits: Wenn ich Texte von AutorInnen lese, die ich bereits kenne und schätze, freue ich mich schon auf die Schilderung persönlicher Eindrücke. Die Texte bekommen damit deutlich mehr Persönlichkeit, mehr Charme, mehr Farbe, mehr zum Angreifen. Man fühlt Nähe. Nicht der schlechteste Ansatzpunkt, um LeserInnen zu finden.
Erzählen heute
Etwas aus seinem eigenen Ich-Standpunkt heraus zu beschreiben, ist für mich nicht nur okay, sondern auf der Höhe der Zeit und notwendig. Es wird de facto erwartet. Heute klingen Texte einfach nach „Ich“, nicht nach „Unsereiner“. Letztlich führt das dazu, dass Schreibende, die sich hinter einer Objektivitäts-Maske verschanzen, sich in dieser immer komplexeren und sich ausdifferenzierenden Welt schlicht unglaubwürdig machen.
Long story short: Die Welt hat sich weitergedreht. Gonzo-Texte erlaubt – und erbeten!